Robert Schumann (1810 - 1856)
Nachtstücke op. 23 (1839) | ||||
I. | Mehr langsam, oft zurückhaltend | 05:36 | ||
II. | Markiert und lebhaft | 05:13 | ||
III. | Mit großer Lebhaftigkeit | 03:26 | ||
IV. | Einfach | 03:19 | ||
Sonate g-Moll op. 22 (1830-38) | |||
I. | So rasch wie möglich | 06:03 | |
II. | Andantino | 03:54 | |
III. | Scherzo. Sehr rasch und markirt | 01:47 | |
IV. | Rondo. Presto (1838) | 05:00 | |
IV. |
|||
Symphonische Etüden op. 13 (1834/52) | 38:13 |
Études en forme de Variations (Études Symphoniques) |
Thema Variation I (Etüde I) - Variation I op.posth. Variation II (Etüde II) Etüde III Variation III (Etüde IV) Variation IV (Etüde V) Variaiton V (Etüde VI) - Variation III op.posth. |
Variation VI (Etüde VII) - Variation II op.posth Variation VII (Etüde VIII) Etüde IX - Variation IV op.posth. Variation VIII (Etüde X) Variation IX (Etüde XI) - Variation V op.posth. Variation X - Finale (Etüde XII) |
Nachtstücke op.23 Die Entstehung der Nachtstücke fällt in Schumanns Wiener Zeit (1838), in der seine Stimmungslage durch die vorübergehend erzwungene Trennung von seiner Verlobten Clara Wieck, den Tod des Bruders Eduard und den vergeblichen Versuch, einen dortigen Verleger für seine „Neue Zeitschrift für Musik” zu finden, überschattet wurde. So scheint den Nachtstücken der Enthusiasmus und Gefühlsüberschwang der früheren Werke zu fehlen, ja es ist ihnen eine gewisse (nächtliche) Kühle anzumerken, die bisweilen durch sarkastische und ironisierende Untertöne noch verstärkt wird. Nicht zuletzt fühlte sich Schumann nachhaltig inspiriert von der Dichtung E.T.A. Hoffmanns, dessen acht „Nachtstücke, vom Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier” (1816/17) hier ihre Fortsetzung finden. Direkte Bezüge zu den einzelnen Erzählungen gibt es kaum, doch verheimlichen Schumanns ursprünglich vorgesehene Titel nicht die Nähe zu Hoffmanns düster beklemmender Erzählkunst: „Leichenfantasie” sollte das erste Stück heißen, später auch „Nächtlicher Trauerzug” (Die Titel wurden bei der Drucklegung fortgelassen). Ein stockend-schwerfälliger Marschrhythmus bestimmt den tragischen und fatalen Ausdruck dieser nächtlichen Fantasie (Auch ein übergeordneter Titel „Fantaisie macabre”, der die vier Stücke mehr verklammern sollte, war zunächst vorgesehen, wurde auf Anraten Claras jedoch verworfen.). Grell erleuchtet ist hingegen die Szenerie des zweiten Stücks, das in witzig-ironischer Weise eine nächtliche „Kuriose Gesellschaft” karikiert, die gut ins Bild vom Wiener Gesellschaftsleben der Metternich-Ära zu passen scheint, als deren Opfer sich Schumann selbst gefühlt haben mußte. Anklänge an „Ignaz Denner” (Hoffmann) finden sich im dritten Nachtstück, „Nächtliches Gelage” betitelt, einem turbulenten und mit geradezu roher Wildheit dahin stürmenden Stück, dem in einem ersten Mittelteil eine von wogender Bewegung getragene dunkel-wehmütige Melodie, in einem zweiten eine nochmals schnellere und atemlose Staccato-Sequenz zur Seite gestellt wird. Im abschließenden „Rundgesang mit Solostimmen” erklingt ein schlichtes liedhaftes Thema, dessen inniger Charakter sich jedoch über den abgerissenen Arpeggien kaum zu entfalten vermag, lediglich eine kurze, kantable Zwischenepisode lässt das Halbdunkel dieses zaghaft klagenden Gesangs für kurze Zeit weichen. Die Nachtstücke verkörpern sozusagen die dunkle Seite (wie auch weite Teile der zuvor, ebenfalls in Anlehnung an E.T.A. Hoffmann entstandenen „Kreisleriana”) des Schumannschen Klavierschaffens. Aber während sich bei Hoffmann die unbewusste Komponente menschlichen Seelenlebens in nächtlichen Träumen und psychotischen Fantasien offenbart und als Phänomen des „Wunderlichen” und Irrationalen literarisch aufbereitet wird, weisen die Nachtstücke Schumanns in ihrem unmittelbaren Ausdruck auf dessen reale Angstzustände, auf die Gefährdung der eigenen Existenz und einen Gemütszustand, dem der Komponist anderthalb Jahrzehnte später selbst in geistiger „Umnachtung” anheim fallen sollte. Thomas Lefeldt 1999 |
Klaviersonate N2.2 g-Moll op.22 Im Gegensatz zur ersten Klaviersonate in fis-Moll - ebenfalls 1835 entstanden - bemühte sich Schumann mit der zweiten Sonate in g-Moll um eine strengere Handhabung des Sonatenprinzips. Als wollte er die formalen Unausgewogenheiten der ersten Sonate wettmachen, suchte er nunmehr das Formschema der Sonate kategorisch zu erfüllen. Dies ist jedoch aus heutiger Sicht umso fragwürdiger, als Schumann der Entfaltung seiner musikalischen Fantasie, die sich bereits mit den „Davidsbündlertänzen” und dem „Carnaval” ihren eigenen Formenkanon geschaffen hatte, durch die formalistische Anwendung des Sonatenschemas enge Fesseln anlegte. So ist z.B. die Entwicklung der Hauptthemen einer durchgehenden Tempogestaltung, die für eine eher oberflächliche formale Geschlossenheit sorgen soll, untergeordnet. Dabei fallen vor allem die extremen Tempoanweisungen auf („So rasch wie möglich - noch schneller - prestissimo - immer schneller”) , die eine gewisse Raffung und Steigerung der musikalischen Ereignisse - anstelle motivischer Verarbeitung und Verdichtung - bewirken sollen. Besonders in den Ecksätzen herrscht überwiegend durchgängige Sechzehntelbewegung, die sich jeweils gegen Ende zu furiosem Stretto steigert. Dementsprechend kurzatmig sind die verarbeiteten Themen und Motive, deren heftige Gestik vom drängenden Tempofluss fortgetragen wird. Der Hauptgedanke des 1. Satzes besteht aus einem leidenschaftlich geprägten, melodisch abwärts gerichteten Thema, das alsbald in eine vorwärtsstürmende synkopierte Bewegung weiterleitet, die noch in das etwas lyrischer getönte Seitenthema hineinwirkt. In der Durchführung hält der Bewegungsimpuls unvermindert an, vermittelt aber über weite Strecken mehr den Eindruck eines „Abreagierens” als einer Weiterverarbeitung des musikalischen Materials. Dennoch überzeugt dieser Satz - trotz formaler und musikalischer Einschränkungen - vor allem wegen seiner emotionalen Unmittelbarkeit und seiner leicht verständlichen Gestaltungsmittel. Der 2. Satz, Andantino überschrieben, gilt als eine der schönsten Eingebungen Schumanns und nimmt in seiner romantischen Verträumtheit den melodischen Reichtum und die poetische Inspiration des späteren Liedschaffens voraus. Ihm schließt sich ein knapper burlesker 3. Satz, Scherzo, an. Von äußerst origineller Wirkung ist sein Kopfmotiv, das mit schnellen Doppelgriffpunktierungen an sogenannte Clustereffekte (Tontrauben) erinnert. Mit dem 4. Satz, Rondo - Finale, erfährt diese Sonate hingegen nicht den ihr gebührenden Abschluß, ist dieses Stück doch nachträglich (1838) hinzu komponiert worden, nachdem Schumann das ursprüngliche Finale auf Anraten Claras verworfen hatte. Dieser Satz, von Schumann später einmal als „sehr simpel” bezeichnet, erschöpft sich weitgehend in rollender, perpetuum-mobilehafter Bewegung von gebrochenen, bald ermüdend wirkenden Oktaven und greift zwar dem Anschein nach die Charakteristik des ersten Satzes wieder auf, erweist sich aber im formalen Aufbau und im floskelhaften Abspulen des motivischen Materials als insgesamt ziemlich fantasielos. Lediglich der zweimal eingeschobene, langsamere lyrische Gegensatz mit seiner improvisatorischen Liedhaftigkeit lässt ein wenig über die Schwächen der Komposition hinweghören. Gleichwohl erfreut sich dieses Finale bei Klavierspielern und Publikum einer gewissen Beliebtheit und wird als bequemes und effektsicheres Stück dem ursprünglichen und weitaus sperrigeren Schlusssatz vorgezogen. Überdies steigert sich die Schlusskadenz zu einem wahren Geschwindigkeitsrausch, was der Sonate zumindest eine rasante Finalwirkung beschert. Im Vergleich mit dem originalen 4. Satz, dem Presto von 1835, verwundert am meisten, wie leicht sich Schumann in Bezug auf seine eigenen Werke in seiner musikalischen Urteilsfähigkeit beeinflussen ließ; er litt zeitlebens unter dem Gefühl mangelnder musikalischer Professionalität und war in der Bewertung seiner kompositorischen Arbeit leicht zu irritieren. Dies ließ ihn immer wieder in überkommene Formkategorien flüchten, die dann besonders in seinen späteren Werken zum Tragen kamen und die seine musikalische Erfindungskraft mehr und mehr in Akademismus erstarren ließen. Seinem genialen Frühwerk stand er daher bekanntlich auch sehr kritisch gegenüber. Nachdem er wegen einer selbstverschuldeten Lähmung der rechten Hand (1832) endgültig Abstand von einer Konzertkarriere nehmen musste, fand er vor allem in Clara Wieck seine pianistische Ratgeberin und Interpretin seiner Werke. Claras Gespür für einen dem Zeitgeschmack entsprechenden Klavierstil schlagen sich hinlänglich in den eigenen, salonhaften Virtuosenstücken ihrer Jugend nieder (erst später ist eine gewisse Läuterung ihres musikalischen Geschmacks, diesmal unter Schumanns Einfluss, erkennbar), andererseits wird leicht vergessen, dass sie zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 16 Jahre alt war - umso unbegreiflicher, dass Schumann sich ihrem Urteil auslieferte. Das Finale von 1835 war ihr nicht nur „viel zu schwer” sondern auch in seiner dämonischen Wildheit zu „verworren”, sie bat Schumann, doch „recht klar” zu komponieren. Ihrem Unverständnis fiel eines der originellsten Stücke des Jahres 1835 zum Opfer, das durch eine konventionelle „Schreibtischarbeit” ersetzt wurde und das erst nach Schumanns Tod von Brahms veröffentlicht werden konnte. Nichtsdestoweniger bietet es eine wertvolle Alternative zum gängigen Konzertgebrauch dieser Sonate, als posthumes Einzelstück blieb es bis heute im Konzertrepertoire weitgehend unbeachtet. Der musikalische Wert dieses Prestos kann nicht hoch genug eingeschätzt werden und sein historischer Rang ist mit Blick auf das frühe Entstehungsjahr durchaus avantgardistisch zu nennen, die klaviertechnischen Anforderungen sind dementsprechend groß: enge, rotierende Sechzehntelfiguren, aus denen mittels rhythmischer Überlagerungen (2- und 3-Teilungen) und verschobenener Akzente das leise, in sich gekehrte Kernmotiv geformt ist, wechseln mit extrem weitgriffigen Passagen und schwierigen Akkordsprüngen ab. Die Musik erscheint in ihrer assoziativ entwickelten Motivik wie in einem Zuge niedergeschrieben und ist in groß angelegte formale Abschnitte mit lyrischen Einschüben und Ausbrüchen tragischer Leidenschaft gegliedert. Die abschließende Coda setzt energiegeladene rhythmische Kräfte frei, die in geradezu wilder Entschlossenheit einem fatalistisch geprägten Ende entgegen treiben. Thomas Lefeldt 1999 |
Symphonische Etüden op.13 Die Symphonischen Etüden (Variationen) wurden von Schumann immer wieder umgearbeitet, wobei die Ausgaben von 1835, 1837 und 1852 als Grundlage heutiger Aufführungspraxis gelten. Während der Entstehungszeit der ersten Variationen zog Schumann noch Überschriften wie „Etüden im Orchestercharacter von Florestan und Eusebius” und „Variations pathétiques” in Betracht. Der Originaltitel von 1835 gibt Aufschluß über die Herkunft des Themas: „Fantaisies et Finale sur une thème de Baron de Fricken” bzw. „Les notes de la mélodie sont de la composition d'un amateur” - Baron von Fricken war der Adoptivvater von Ernestine von Fricken, mit der Schumann kurze Zeit verlobt war. In der nach Etüden numerierten Fassung von 1837 (Études symphoniques) sind die Etüden III und IX noch erhalten, fünf andere, durchweg lyrische Variationen wurden - wohl wegen ihres weniger ausgeprägten Etüdencharakters - verworfen und erst 1873 von Brahms posthum veröffentlicht (Ihre Numerierung bezieht sich also nicht auf eine mögliche Stellung innerhalb der Variationsfolge). In der Spätfassung von 1852 (jetzt: „Études en forme de variations”), die den Variationscharakter mehr in den Vordergrund stellte und die sowohl satztechnische Änderungen als auch eine Straffung des Finales enthielt, fehlten dann auch die Etüden III und IX. Die vorliegende Fassung berücksichtigt nicht nur diese beiden Etüden gemäß der nach Schumanns Tod erfolgten Wiederherstellung der ersten Ausgabe, sondern auch die fünf nachgelassenen Variationen. Diese stehen jedoch nicht, wie sonst üblich, als Anhang am Ende des Stückes, sondern werden unter formalen und interpretatorischen Gesichtspunkten in die Abfolge der einzelnen Variationen eingefügt. In diese erweiterte Fassung sind außerdem einige Varianten der Erstausgabe, z.B. im Finale, mit einbezogen. Man kann die Symphonischen Etüden als Variationsetüden in orchestralem Gewand bezeichnen. Ihre leidenschaftliche Glut und ihr romantisches Fieber heben sie jedoch weit über das Variations- und Etüdengenre ihrer Zeit hinaus. Symphonisch mutet bereits das Thema an, das Schumann in weiten Griffen und orchestraler Klangfarbe instrumentiert. Der Themenkopf, ein gravitätisch absteigender cis-Moll Dreiklang, bindet die einzelnen Variationen aneinander und wird zu einem leicht wiederzuerkennenden Motiv, das auch in entlegeneren Partien die Verwandtschaft zum Thema herstellt. Dabei bietet die Variations- bzw. Etüdentechnik lediglich die Klammer für eine Musik voller hinreißend romantischem Gefühlsüberschwang, der mit drängender Intensität zu immer neuen musikalischen Ausdrucksformen findet. Die Symphonischen Etüden sind William Sterndale Bennett gewidmet, einem von Schumann geschätzten englischen Komponisten. Ihm zu Ehren wird im groß angelegten Finale ein Thema aus Heinrich Marschners Oper „Templer und Jüdin” („Du stolzes England, freue dich!”) zitiert, das Schumann in einen schwungvollen Akkordsatz verwandelt und das dem Werk eine apotheotisch krönende Schlusswirkung verleiht. Thomas Lefeldt 1999 |