Ludwig van Beethoven (1770 - 1827)
Sonate Nr.27 e-Moll op.90 (1814) | |||
I. | Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck | 05:03 | |
II. | Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen | 06:55 | |
33 Veränderungen über einen Walzer von A. Diabelli op.120 (1823) | ||
Thema /Variationen 1-10 | 12:26 | |
Variationen 11-23 | 16:34 | |
Variationen 24-33 | 18:09 | |
Sonate e-Moll op.90 Diese zweisätzige Sonate weist bereits Merkmale von Beethovens spätem Sonatenschaffen auf, doch mit dem Verzicht auf bravouröse Wirkungen und in der Betonung liedhafter Elemente steht sie ganz im Schatten der fünf letzten großen Sonaten wie auch der beliebten Sonate Nr.26 „Les Adieux” op.81a, die 4 Jahre zuvor entstand.
Die Überschrift „Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck” kennzeichnet sehr treffend die musikalischen Gegensätze des 1. Satzes, dessen Hauptthema aus einem energischen Kopfmotiv und anschließendem ausdrucksvollen Nachgesang besteht. Die Sonatenform ist in der Anlage knapp und auf sparsame pianistische Mittel reduziert, umsomehr fallen motivische Arbeit und Durchführungstechnik ins Gewicht. Trotz stellenweise weicher und wehmütig gefärbter Partien vermittelt dieser Satz einen eher strengen Gesamteindruck. Im Kontrast dazu steht der 2. Satz, der sich ausschließlich einem liedhaft frühromantischen Rondothema verschrieben hat, das in immerwiederkehrender Form und kaum abgewandelt den musikalischen Verlauf des Stückes bestreitet, unterbrochen von kurzen Zwischenepisoden, die nur ansatzweise gegensätzlichen Charakter entwickeln und binnen kurzem den Wiedereintritt des Hauptthemas vorbereiten. Vor allem in seinen repetitiven Stilmitteln und dem warmen, sonoren Klavierklang erinnert dieser Satz an die Musik Franz Schuberts. Trotz ihres unscheinbaren Äußeren und ihrer auf zwei Sätze beschränkten Anlage nimmt auch diese Sonate ihren unverwechselbaren Platz innerhalb der 32 Klaviersonaten ein - als eine von vielen unterschiedlichen musikalischen Gestaltungsmöglichkeiten, die Beethoven der Sonatenform abgerungen hat. Thomas Lefeldt 01/2000 |
Diabelli-Variationen op.120 Den Anstoß zu diesem letzten und umfangreichsten Variationszyklus gab der Verleger und Komponist Anton Diabelli (1781-1858), der 1819 einen eigenen, recht simpel gestrickten Walzer an etwa fünfzig bekannte Komponisten der Zeit sandte, unter ihnen Schubert, Czerny, Hummel und Liszt, verbunden mit der Aufforderung, je eine Variation für eine geplante Sammlung zu komponieren. Beethoven lehnte zunächst ab, offenbar hielt er Diabellis Komposition für uninteressant bzw. wertlos, besann sich dann jedoch der Vorzüge eines solchen Ausgangsmaterials, dessen scheinbare Belanglosigkeit in mancher Hinsicht Parallelen zu den Erstskizzierungen eigener Einfälle (Skizzenbuch) aufwies, und komponierte nach und nach eine Folge von 33 Variationen, die heute als Non plus ultra des Beethovenschen Klavierwerks gelten und nur noch in den Goldberg-Variationen von J. S. Bach ihresgleichen finden.
Beethovens späte Variationswerke übten zwar großen Einfluss auf die weitere Musikentwicklung (z.B. bei Brahms) aus, doch erst um die Jahrhundertwende (insbesondere mit der 2. Wiener Schule um A. Schönberg) erkannte man ihre zukunftsweisende Bedeutung und machte die Beethovensche Variationstechnik zum Entwicklungsprinzip (Prinzip der entwickelnden Variation, „Strukturvariation”) der neueren Musik schlechthin. So erweisen sich die Diabellivariationen als ein wichtiges Schlüsselwerk der Musik des 20. Jahrhunderts, die bei der Entstehung so mancher bedeutender Kompositionen (vgl. A. Berg: Kammerkonzert, Wozzeck; A. Schönberg: Variationen op.31; A. Webern: Variationen op.27 u. 30) Pate gestanden haben dürften. Beethovens Diabelli-Variationen offenbaren wie kaum ein anderes Variationswerk eine aus einem Minimum an musikalischen Material gewonnene schier unerschöpfliche Ideen- und Formenvielfalt. Es gibt kaum einen Abschnitt des Themas, der sich nicht - sei es als Motiv oder Motivpartikel, als harmonische Wendung oder rhythmische Akzentuierung - als Ausgangspunkt einer der vielen äußerst kontrastreich zusammengestellten Variationen wieder finden ließe. Dabei belässt es Beethoven nicht nur bei figurativer Veränderung der Melodielinie (soweit man bei dem Thema überhaupt von einer solchen sprechen kann), noch bei der freien Ausgestaltung des harmonischen Ablaufs oder der Verarbeitung einzelner Motive, sondern entwickelt darüber hinaus Verfahrensweisen, die auch die Strukturelemente und formalen Gliederungen des Themas berücksichtigen, ja diese sogar bisweilen als einzigen Anhaltspunkt übrig lassen. So wird beispielsweise das Taktschema des Themas, demzufolge sich Vorder- und Nachsatz voneinander abheben, in fast allen Variationen beibehalten und zum Gegenstand einer eigens dieser Gliederung gewidmeten Variation (Nr.21) gemacht, die diese Abschnitte in schroffer Dynamik und jähem Tempowechsel einander gegenüberstellt. Neben sehr sinnfälligen Analogien zum Thema, wie der Verwendung des mit einer Vorschlagnote verzierten Auftaktes in der störrischen, nach c-Moll gewendeten Variation 9, erschließen sich die Feinheiten der einzelnen Variationselemente erst nach mehrfachem Hören, da sie sich nicht als unmittelbar verwandt mit der Gestalt des Themas zu erkennen geben, es aber im strukturellen Sinne umso mehr sind: Variation 10 verändert die begleitende Akkordrepetition des Themas in ein rasantes Tremolo, das in einem tiefen Basstriller der linken Hand seine Entsprechung findet. Variation 11 etwa wandelt den Vorschlagauftakt in eine Achteltriole um, die spiegelbildlich in Variation 12 zu einer Reihung paralleler Sextakkordketten verwendet wird. So sind es überraschenderweise eher banale Details, die sich als Keimzellen der einzelnen Variationen verraten, wie etwa die anfängliche Bassbewegung im Themenkopf (c-g-c-g), die Beethoven zu einer geistreich pointierten Parodie der Leporello-Arie „Keine Ruh bei Tag und Nacht” aus Mozarts Don Giovanni inspirierte (Nr.22). In dieser wie auch in einigen anderen Variationen mangelt es nicht an ironischen Anspielungen, die durchaus als Kritik an dem schematischen Aufbau des Themas verstanden werden dürfen, wie z.B. in der „Pausenvariation” Nr.13, deren substanzieller Gehalt sich paradoxerweise im Weglassen wesentlicher Merkmale des Themas erschließt. Dem stehen inhaltlich sehr ernste, gewichtige und äußerst komplexe Stücke gegenüber, in denen Beethoven die ganze Bandbreite seiner Variationskunst zur Geltung bringt. Schon mit der eröffnenden 1. Variation macht er unmissverständlich deutlich, dass es sich bei den folgenden 33 Veränderungen keinesfalls um gefällige, dem Walzertypus angepasste Variationen konventionellen Zuschnitts handeln wird und setzt sich rigoros über das vorgegebene Zeitmaß hinweg, indem er anstelle einer sich üblicherweise anschließenden behutsam variierenden Fortspinnung des Themas einen wuchtigen Marsch intoniert, der zwar fast notengetreu und geradezu grimmig dem Thema folgt, gleichzeitig aber auch die stilistischen wie qualitativen Unterschiede zwischen Thema und Variationen eindrucksvoll markiert. Dieses Eröffnungsstück schafft vor allem Raum für den eigentlichen Beginn der ersten Variationen, die sich nunmehr umso zarter entfalten können und die sich sodann unter steter Zunahme von Dynamik und Tempo in einem ersten Steigerungsbogen bis zur Variation 10 spannen. Die mittlere Abteilung der Variationen ist durch sehr gegensätzliche Charaktere geprägt; ausdrucksvolle, oft polyphon gebaute Stücke (11,24) wechseln mit scherzhaften, geradezu lapidaren Formulierungen (15,22), gravitätisch-langsame Partien (14,20) mit schnellen und hochvirtuosen (16,17,23); die unterschiedlichsten Kompositions- und Spieltechniken wie Kontrapunktik, Kanon, Fuge, Terzen, Quart- und Akkordpassagen, Vorschläge, Triller, Chromatik etc. kommen zum Zuge; sie fungieren nicht als übliches Beiwerk, sondern verleihen jeder dieser Variationen ihre eigene Struktur. Einige Variationen gruppieren sich paarweise und gehen fast ineinander über (16,17; 26,27), andere stehen wie monolithische Blöcke (14,20) zwischen den ruhelos vorwärtstreibenden, von immer neuen Einfällen getragenen Variationsfolgen. Es wird berichtet, Beethoven habe sich bei der Arbeit an diesem Werk in einen regelrechten Schaffensrausch hineinkomponiert. Wenn auch vieles, was über die Entstehungsgeschichte der Diabelli-Variationen geschrieben wurde, widersprüchlich zu sein scheint, so ist doch dieser Schaffensrausch in sofern nachvollziehbar, als er offensichtlich für eine große Geschlossenheit in der formalen Anlage sorgte. Nichts in der Dramaturgie dieser ununterbrochenen 50 Minuten Musik wirkt zufällig oder bruchstückhaft zusammengesetzt, alles ist wie aus einem Guss und mündet zielstrebig in den groß angelegten Finalbereich der letzten Variationen, - für die Reihungsanordnung von Variationen, die sich keiner übergeordneten formalen Kategorie verpflichten lassen, eine eher außergewöhnlich zwingende prozesshafte Anlage. So stehen gegen Ende des Werkes einige Moll-Variationen, die mittlerweile vergessen machen, dass es sich um Variationssätze handelt, ihre eigenständige Charakteristik bedarf keiner Begründung durch das vorgegebene Themenmaterial mehr; besonders hervorzuheben sei hier die ausgedehnte Largo-Variation (Nr.31) - eine stilistische Annäherung an Bach und zugleich wie eine Vorwegnahme eines Chopin-Nocturnes - , und die sich anschließende, in einer grandiosen Schlusssteigerung kulminierenden Doppelfuge in Es-Dur, deren Themenkopf zwar eindeutig auf das Thema Bezug nimmt, die aber in ihrer aggressiv hämmernden Motorik jede Erinnerung daran hinwegzufegen scheint. Eine kurze, aber umso gewagtere Überleitungssequenz von Es nach C bereitet den Anschluss der letzten Variation vor, die mit ihrer Adaption des an Haydn erinnernden klassischen Menuettcharakters und ihren lebhaften Spielfiguren zu einem heiteren, nahezu unbeschwerten Ausklang dieses monumentalen Werkes beiträgt. Thomas Lefeldt 01/2000 |